Diakonieverband stellt neues Projekt vor, um Migrantinnen in Arbeit zu bringen und die Not von zahlreichen Trägern zu lindern, die auf der Suche nach Haushaltshilfen sind
„Wir suchen ja nicht nur vergeblich nach Pflegefachpersonal, sondern auch nach Kräften im hauswirtschaftlichen Bereich“, betonte Rebekka Widmayer. Genau aus diesem Grund sei die Geschäftsführerin der Diakoniestation Reutlingen sofort hellhörig geworden, als sie von dem Projekt des Reutlinger Diakonieverbands gehört hatte. Das beabsichtigt nämlich, Migrantinnen eine Tätigkeit im hauswirtschaftlichen Bereich schmackhaft zu machen – und ihnen somit Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen, so Widmayer am Freitag bei einem Pressegespräch im Evangelischen Gemeindehaus in Betzingen. Nicht zuletzt werde laut Dr. Joachim Rückle als Geschäftsführer des Diakonieverbands damit die Integration der Frauen gefördert.
Beate Müller-Gemmeke zeigte sich begeistert von dem Ansatz: „Die Projektidee ist genial“, betonte die Grünen-Bundestagsabgeordnete. „Damit werden gleich zwei Problemfelder zusammengefasst, nämlich Perspektiven für Migranten eröffnet und der Riesenbedarf an haushaltsnahen Leistungen zumindest ein klein wenig gedeckt.“ Den Bedarf unterstrich Widmayer: „Wir haben eine lange Warteliste bei der Nachfrage nach solchen Leistungen.“ Aufgekommen ist laut Rückle die Projektidee für „Perspektiven entwickeln“, um „jungen Müttern mit Migrationshintergrund, die keine Ausbildung machen können, den Zugang zu beruflicher Arbeit zu ermöglichen“. Ein Schulabschluss werde nicht benötigt, wie Projektleiterin Heidi Meyer ausführte. Bei einer Vielzahl an Kooperationspartnern – wie etwa Pflegeheime, Kindertageseinrichtungen oder auch die Diakoniestation Reutlingen – absolvieren die Projektteilnehmerinnen momentan ein dreimonatiges Praktikum.
Aber: Ganz so einfach sei es nicht gewesen, Interessentinnen zu finden, wie Meyer betonte. 30 Gespräche habe sie mit Teilnehmerinnen aus Sprach- oder Integrationskursen geführt, schlussendlich blieben sechs Frauen, die sich auf ein Praktikum mit zwölf Wochenstunden einließen. „Mit dieser relativ geringen Stundenanzahl können die Mütter Kinderbetreuung und Praktikum unter einen Hut bringen“, so Rückle. Eine 160stündige Ausbildung bei Ridaf soll dann folgen, um mit einem Abschluss der „Betreuungsassistenz“ auf dem Arbeitsmarkt tätig zu werden – oder auch eine Ausbildung zu machen. Allerdings seien laut Meyer diverse Hindernisse bei den meisten Interessierten aufgetreten, etwa dass die einen gleich in die Arbeit einsteigen wollten. Andere hätten sich andere Tätigkeitsbereiche gewünscht, weiteren fehlte es an einer Kinderbetreuung oder an der Impfwilligkeit.
Der theoretische Teil des Projekts musste nun verschoben werden, von März auf Mai – was laut Heidi Meyer zu dem Problem führte, dass die Frauen nun eine Arbeitsgenehmigung bräuchten. Wenn die nicht vorhanden sei, drohe die Abschiebung, was sowohl Tamila Kazarashvili wie auch Tinatin Kunchulia als Projektteilnehmerinnen sehr belastend empfinden. „Die permanente Abschiebungsbedrohung bedeutet für mich, meine Kinder und meinen Mann viel Stress“, sagte Kazarashvili. Sie leben in ständiger Angst und hoffen von Tag zu Tag, dass sie keinen Abschiebebescheid erhält.
Beate Müller-Gemmeke bezeichnete das als unhaltbaren Zustand. „Wir wollen ja nun den Spurwechsel zwischen Asyl und Einwanderung auf den Weg bringen, um den Menschen eine Bleibeperspektive zu verschaffen.“ Kritisch äußerte sich Michael Donth als CDU-Abgeordneter im Bundestag dazu: „Einem generellen Spurwechsel würde ich nicht zustimmen.“ Pfarrer Christoph Zügel aus Betzingen konterte jedoch: „Durch solch ein Projekt würden ja nicht nur Perspektiven für Migranten oder Flüchtlinge in den Bereichen Sprache und Beruf geschaffen, auch als Diakoniestation sind wir unendlich dankbar dafür.“
Außerdem habe auch „das Handwerk einen Riesenbedarf an Fachkräften, das Modell ‚Perspektiven entwickeln‘ wäre also auch in anderen Bereichen sinnvoll.“ Schließlich seien ja die Menschen schon da – sie müssten „nur“ gut und passend vermittelt, betreut und ausgebildet werden. „Ich bin ein großer Befürworter des Spurwechsels“, so Zügel. Problematisch sei allerdings die Fortsetzung des Projekts, wie Joachim Rückle betonte. Die Förderdauer durch den Europäischen Sozialfonds endet schon nach 1,5 Jahren. Beate Müller-Gemmeke stellte jedoch in Aussicht, dass durch eine Reform des Zweiten Sozialen Gesetzbuchs künftig „solche Projekte über das Jobcenter finanziert werden“.