Interessensausgleich erscheint schwierig

Informationsabend zum geplanten Diakonischen Zentrum an der Christuskirche mit rund 150 Interessierten. Protest gegen Bebauung der Grünfläche und Verlust der Musikkirche

Als „Werbeveranstaltung für das Diakonische Zentrum“ hatte eine Anwohnerin der Tübinger Vorstadt den Info-Abend am Mittwoch in der Christuskirche bezeichnet. „Sie haben mich nicht abgeholt“, sagte die Frau anschließend. Überzeugt zeigte sich tatsächlich niemand derjenigen, der rund 150 Anwesenden, die sich zu Wort gemeldet hatten. Protest wurde allerdings schon vor dem Betreten der Kirche offenbar: Pappschilder waren dort befestigt, auf denen etwa stand „Warum hier?“ oder „Kein Leuchtturmprojekt – ein Naturvernichtungsprojekt“.

Vertreter der Evangelischen Kirchengemeinde Reutlingen, Reutlingen West-Betzingen, des Diakonieverbands, der Bruderhaus-Diakonie und auch der Stadt – also alle Beteiligten, die sich in das geplante Zentrum einbringen wollen – hatten es an diesem Abend nicht leicht, mit ihren Argumenten Gehör zu finden. Aber: „Das ist keine Werbeveranstaltung“, wehrte sich Dekan Marcus Keinath. „Glauben Sie mir, wir wollen niemanden verärgern.“ Verdeutlicht haben an diesem Abend Anwohner, dass sie vor allem den Verlust der „einzigen Grünfläche in der Tübinger Vorstadt“ befürchten. OB Thomas Keck sagte dazu: „Natürlich ist der Erhalt von Grünflächen wichtig, aber nicht auf alle Fälle.“ Abwägung sei angesagt. Auf sich aufmerksam machten an diesem Abend aber auch diejenigen, die sich für einen Erhalt des Kirchengebäudes als musikalische Konzertstätte aussprachen.

Argumente für das Diakonische Zentrum kamen hingegen offensichtlich nicht an – dass die Christuskirche jedes Jahr 80 000 Euro koste, bei immer weniger Kirchensteuern. Dass eine wirtschaftliche Nutzung des Geländes dringend vonnöten sei, bevor die Kirche womöglich – genauso wie die Leonhardskirche – verkauft werden müsse. „Wir verlieren jedes Jahr an die 600 Kirchenglieder“, betonte Keinath, was mit einem „Wen wundert’s“ quittiert wurde. „Wir wollen die Kirche nicht verkaufen müssen“, entgegnete der Dekan. Dass Nachhaltigkeit mit Füßen getreten werde, behauptete Ernst-Ulrich Schmidt, der selbst Pfarrer an der Christuskirche war. Das Pfarrhaus sei vor nicht allzu langer Zeit saniert, sogar mit einer PV-Anlage versehen worden. „Und jetzt soll es abgerissen werden“, sagte Schmidt. Architekt Albrecht Reuß antwortete: „Die nachhaltigste Lösung ist immer die, an einer Stelle zu bauen, wo schon Gebäude stehen.“

Ein anderes Thema sprach eine weitere Anwohnerin an: „Die Tübinger Vorstadt ist eh schon ein schwieriges Quartier“ – und dann sollen auch noch behinderte Menschen und andere, die sonst keine Wohnung finden, im Diakonischen Zentrum dazukommen? „Es kommt auf die Durchmischung an“, antwortete Pfarrer Dr. Joachim Rückle als Geschäftsführer des Diakonieverbands, der dringend Raum für seine Dienste sucht. Bisher sind die auf drei nicht-barrierefreie Gebäude verteilt. „Und in die Wohnungen könnten durchaus auch Menschen einziehen, die sich hier einbringen wollen.“

„Die Christuskirche wird nicht attraktiver durch einen Umbau“, sagte eine Frau, die sich aktiv in das Kirchengeschehen einbringe. „Ich sehe das wie Herr Schmidt, eine Kirche ohne Pfarrer hat keine Zukunft.“ Und Parkplatzprobleme gebe es jetzt eh schon mehr als genug. Ein weiterer Anwohner sprach „den kulturhistorischen Aspekt“ der Kirche an, „die Akustik hier ist hervorragend, wenn die Empore wegfällt, fehlt was in Reutlingen“. Keinath sagte dazu: „Ich kann Enttäuschung, Wut und Zorn nachempfinden, aber wir können Pfarrstellen genauso wie Kirchengebäude nur von den Steuern finanzieren, die wir als Kirche einnehmen.“ Das sei ein „Teufelskreis – wir können künftig aber nicht an jeder Kirche eine Pfarrstelle halten“.

Martin Burgenmeister versuchte als derzeitiger Christuskirchen-Pfarrer die Wogen zu glätten: „Konfrontation bringt nichts“, sagte er. „Ich bin für das Diakonische Zentrum, damit der Diakonieverband einen guten Platz hat.“ Marcus Keinaths Schlusswort: „Wir hören Ihre Bedenken und nehmen sie ernst, ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass in Ihrem Sinn entschieden wird, weil die Angelegenheit sehr komplex ist.“ Damit war der Abend aber noch nicht vorbei – es kam danach noch zu einigen Dialogen zwischen beiden Seiten, die offensichtlich deutlich versöhnlicher und weniger konfrontativ abliefen als bei dem vorherigen Teil der Veranstaltung. „Es gab noch einige gute Gespräche“, resümierte Rückle.

Weitergehen soll es mit Diskussionen am 25. Oktober an gleicher Stelle, wenn der Prozess in einer „Ständigen Werkstatt“ weitergehe.