„Einfach nur noch traurig“

Unter der Fragestellung „Gewählt – und jetzt?“ trafen sich am vergangenen Donnerstagabend Asylpfarrerin Ines Fischer, die ehrenamtliche Geflüchteten-Helferin Belinda Kalender sowie die Reutlinger Grünen-Landtagsabgeordneten Cindy Holmberg und Thomas Poreski zum hybriden Gespräch im franz. K (dazu gibt es auch einen Beitrag auf youtube unter der Adresse www.youtube.com/watch )

„Ich bin eigentlich nur ein Mensch, der hilft“, sagte Belinda Kalender am vergangenen Donnerstagabend im fast völlig leeren franz. K. Nur auf der Bühne saßen neben der ehrenamtlich-engagierten Kalender die beiden Landtagsabgeordneten Cindy Holmberg und Thomas Poreski sowie Asylpfarrerin Ines Fischer. Moderiert wurde die „hybride“ Online-Veranstaltung von Paul Gäbler, einem Journalisten und Blogger aus Berlin. Belinda Kalender hilft vor allem in Griechenland, in der Umgebung von Athen, wo nach ihren Worten mehrere Lager entstanden sind, in denen Geflüchtete vegetieren, die zuvor auf den griechischen Inseln festgehalten wurden. Auf dem Festland sind sie in die Obdachlosigkeit abgerutscht.

„Auf Lesbos gab es wenigstens eine Infrastruktur, einen kleinen Markt in dem Lager und auch medizinische Versorgung“, berichtete Kalender. „Wenn sie aber auf das Festland kommen, haben sie nichts, alles fällt weg, sie leben auf der Straße.“ Ines Fischer hat als Asylpfarrerin vor allem mit den Menschen zu tun, die es bis nach Deutschland, bis in die Prälatur Reutlingen geschafft haben. Unfassbar sei, was die Flucht mit den Menschen mache, formulierte die Asylpfarrerin. Massiv würden dabei ständig Europarecht, Völkerrecht und Menschenrechte gebrochen. Die Frage, was sich ändern muss, formulierte Fischer eindeutig: „Wir brauchen ein Landesaufnahmeprogramm für die Menschen in den Lagern an den europäischen Grenzen.“ Und dringend notwendig seien Regelungen für geduldete Geflüchtete, die seit vielen Jahren hier leben und integriert sind, damit Abschiebungen nicht mehr möglich seien.

Im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU „stehen dazu Dinge, die noch nie in einem Koalitionsvertrag standen“, so Ines Fischer. Doch wie stark könne man sich darauf verlassen, dass die formulierten Ziele auch umgesetzt werden? Cindy Holmberg sagte dazu: „Ich bin froh, dass die Ziele formuliert wurden, jetzt können wir jederzeit darauf verweisen und sie auch einfordern.“ Es seien zwar kleine Schritte, „aber das ist nur der Anfang, nicht das Ende, um die Situation von Geflüchteten zu verbessern“, so Holmberg. Widerspruch von Ines Fischer: „Ihr wisst doch, dass das Bundesinnenministerium alles blockieren wird.“ Das stimmt, sagte Thomas Poreski. „Wenn der Bund sagt, dass nach Afghanistan abgeschoben werden soll, dann können wir im Land hier gar nichts machen.“

Beide Landes-Grünen-Politiker setzen ihre Hoffnungen auf die Bundestagswahl im September, auf eine Veränderung der Machtverhältnisse in Berlin. „Ich bin auch eine von denen, die nicht verstehen können, dass sich für die Flüchtlinge nichts zum Besseren ändert, ich finde es auch unerträglich, dass die Menschenrechte an den europäischen Grenzen so massiv gebrochen werden – wir wissen, wie viele ehrenamtliche Unterstützer es gibt, die dann wiederum sehen, wie machtlos die Politik ist“, hielt Holmberg ein flammendes Plädoyer für eine starke Zivilgesellschaft. „Die Verhältnisse müssen auf Bundesebene geändert werden“, forderte Thomas Poreski.

Ob denn Belinda Kalender angesichts der Situation in der Politik Hoffnung hat, dass sich baldmöglich was ändern könnte, wollte Paul Gäbler wissen. „In Griechenland bewegt sich so viel – und zwar in Richtung Obdachlosigkeit“, sagte die Ehrenamtliche. „Hilfe müsste eigentlich aus Brüssel kommen.“ Sie habe auf der Schwäbischen Alb Menschen getroffen, die vom griechischen Festland kamen, „die waren völlig ausgehungert, ich bin schockiert, dass man so was zulässt“, so Kalender. „Das macht mich nur noch traurig.“ Sie schicke immer wieder Paletten voller Hilfsmittel, „viele Spender, Helfer und Unterstützer sagen aber immer wieder, dass sie die Situation in Griechenland nicht mehr ertragen, dass sie sich unendlich hilflos fühlen“. Unfassbar sei es, dass es solche Situationen in Europa gebe, „dass Menschen stundenlang für ein Schüsselchen Essen für fünf Personen anstehen“.

Themawechsel: „Es sind keine Einzelfälle, dass Leute massiv hier aus Baden-Württemberg abgeschoben werden“, betonte die Asylpfarrerin. Und das auch unter der grün-schwarzen Landesregierung in der vergangenen Legislaturperiode. „Ja, das stimmt, das ist ein ganz dickes Brett, das wir da bohren müssen“, sagte Poreski. „Und das geht nur gemeinsam mit den Ehrenamtlichen, mit der Zivilgesellschaft.“ Denn die Helfer würden schon seit langem immer wieder auf Abschiebungen hinweisen, bei so manchen sei Thomas Poreski persönlich eingeschritten – „erfolgreich“, wie der bildungspolitische Sprecher der Grünen betonte.

Noch ein Thema: „Fluchtursachen bekämpfen, was heißt denn das, jetzt mal Butter bei die Fische“, forderte Ines Fischer mit dem Verweis auf 120 deutsche Rüstungsfirmen die dafür sorgen, dass Menschen aus ihren Heimatländern flüchten müssten. „Soll man die Rüstungsindustrie in Deutschland platt machen“, fragte Paul Gäbler provokativ. „Auf Landesebene haben wir Null Möglichkeiten, was zu ändern, denn der Bund sagt, dass Rüstungsexporte ins Ausland legal sind“, so Poreski. Dennoch, so Fischer, es müsste doch Möglichkeiten geben, um wenigstens mal einen Dialog anzuregen. Was aber werde tatsächlich getan von der Politik, um Fluchtursachen zu verändern, wollte Fischer wissen. Vor allem „symbolisch“ gebe es einzelne Projekte, so Thomas Poreski, auf dem Balkan, im Irak, in Burundi.

Und noch ein Thema im Zusammenhang mit Fluchtursachen: „Greenpeace hat prognostiziert, dass bis 2050 mehr als 200 Millionen Klimaflüchtlinge ihre Heimat verlassen, weil sie dort nicht mehr leben können“, so Ines Fischer. „In der Folge werden wir an den Grenzen Europas immer mehr Horrorcamps haben.“ Ob Kalender angesichts solcher Meldungen und Diskussionen Hoffnung geschöpft habe, wollte Moderator Gäbler höchst ironisch wissen. In ihrer konkreten Arbeit „werde ich abwarten, was passiert und ich werde sehen, wie viele Menschen mehr in Athen auf der Straße sitzen“, sagte Belinda Kalender. Darauf werde sie reagieren. Aber: Politiker sollten mal nach Griechenland gehen und sich die Situation der Geflüchteten vor Ort ansehen, regte sie an.