Reutlinger Psychologische Beratungsstelle des Diakonieverbands legt den Bericht für das vergangene Jahr vor. Trotz Corona unwesentlich weniger Fälle als ein Jahr zuvor
„Unsere gesamte Beratung hat sich verändert“, betonte Dagmar Kühnlenz-Weidmann am gestrigen Dienstag während des Pressegesprächs zum Jahresbericht der Psychologischen Beratungsstelle unter dem Dach des Reutlinger Diakonieverbands. Im März 2020 lag die Beratungstätigkeit aufgrund des ersten Corona-Lockdowns zunächst mal brach – und das nicht nur allein, weil der so wichtige persönliche Kontakt nicht mehr möglich war. „Viele unserer Klienten waren auch mit anderen Dingen beschäftigt“, betonte die Psychologin Gabriele Brandt. Homeschooling, Homeoffice und andere Dinge, die mit der Organisation des ungewohnten Alltags zusammenhingen, mussten bewältigt werden. Dazu gehörte auch die Besuchsregelung bei Patchwork-Familien. Psychische Probleme seien hingegen damals zunächst ganz hintenangestellt worden.
„Insgesamt hatten wir trotz Corona im vergangenen Jahr 875 Menschen beraten, das waren gerade mal zehn weniger als 2019“, betonte Dagmar Kühnlenz-Weidmann. „Zum Sommer 2020 hin gab es dann wieder deutlich mehr Anfragen – wir haben uns für die Beratung viele Gedanken gemacht, wir haben ausprobiert, gelernt und versucht, das Beste aus allem zu machen“, so die Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle. Aber: Die Angebote der Beratungsstelle im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Prävention mussten fast alle ausfallen – bis auf diejenigen, welche online durchgeführt wurden. So manche Neuerung werde wohl in der Beratungsstelle auch weiter von Bedeutung sein, wie telefonische oder Online-Beratung und (wenn es passt) wohl auch mal beratende Spaziergänge mit Klientinnen oder Klienten. „Aber jetzt zu sagen, wir machen nur noch Online-Beratung, würde bedeuten, das Pferd von hinten aufzuzäumen“, so Kühnlenz-Weidmann.
Die Auswirkungen der Pandemie auf die Menschen, ganz besonders aber auf Kinder und Jugendliche offenbaren sich laut Brandt erst jetzt nach und nach. „Die seelischen Auswirkungen sind gravierend, wenn vor allem junge Menschen kaum mehr Kontakte heben“, betonte Gabriele Brandt. „Eine depressive Schwere taucht in fast allen Gesprächen auf.“ Kinder und Jugendliche würden sich melden, dass sie über den Tod ihrer Oma sprechen möchten – so was habe es bislang noch nicht gegeben. „Da haben andere soziale Kontakte in Schule, Kita, Vereinen, Sport, mit Freunden ganz viel aufgefangen – was in den zurückliegenden Monaten alles nicht möglich war.“ Gerade junge Menschen seien „schwer erschüttert vom social distancing“, also von den fehlenden sozialen Kontakten. Und das reiche hin bis zu Studierenden, die durch den Online-Unterricht nicht an den Hochschulen ankommen, die ihre Kommilitonen nicht kennen, die wieder zu den Eltern ziehen, um überhaupt Kontakte zu haben.
Arbeit mit jungen Geflüchteten
Eine Projektstelle in der Psychologischen Beratungsstelle hat Petra Müller inne – sie kümmert sich um junge Geflüchtete mit psychischen oder traumatischen Problemen bis zum Alter von 27 Jahren. „Ich bin für die gesamte Prälatur Reutlingen zuständig“, betonte sie. Der Bedarf und die Nachfrage sei riesig, die Probleme der jungen Menschen kämen erst so richtig heraus, wenn sie nicht mehr minderjährig, aber aus den betreuten Wohngruppen rauskämen, wenn sie ganz auf sich allein gestellt seien und sich mit Ängsten, Traumata oder auch Problemen in der Ausbildung herumschlagen müssten. Müllers Aufgabe sei dabei nicht allein die Beratung, sondern auch die Begleitung der jungen Menschen – etwa zu Anwälten, Ärzten, Kliniken. „Hinzu kam in den vergangenen Monaten noch das massive Problem der drohenden Abschiebung“, so Müller. Selbst wenn die Geflüchteten Atteste, Dokumente und sonstige Nachweise über Krankheiten vorgelegt hätten – „das half alles nichts mehr, die negativen Bescheide wurde trotzdem viel rigider als sonst rausgeschickt“. Müller habe aufgrund dieser drohenden Abschiebungen häufig mit suizidalen Absichten von Geflüchteten zu tun gehabt.
INFO:
Stabwechsel in der Psychologischen Beratungsstelle
Ende September dieses Jahres wird Dagmar Kühnlenz-Weidmann in den Ruhestand gehen, „die Nachfolge für die Psychologische Beratungsstelle ist aber schon geregelt, sie beginnt am 1. Oktober hier in der Tübinger Straße“, so die bisherige Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle.