"Beschnuppern ist wichtig"

Projekt „shelter and help“ vom Reutlinger Diakonieverband will wohnungssuchende, junge Migranten und ältere Personen mit viel Wohnraum zusammenbringen und begleiten

Das Thema Wohnraum ist auch in Reutlingen ein sehr drängendes „Das Problem der fehlenden Wohnungen begegnet uns auch ständig in der Geflüchteten- und Migrationsberatung“, betonte Dr. Joachim Rückle am Mittwoch beim Pressegespräch zum nagelneuen Projekt „shelter & help“. Auch der Diakonieverband sei sich klar darüber, „dass es bei dem Thema keine einfachen, schnellen Lösungen gibt“, so Rückle als Geschäftsführer des Verbands. Aber: Dieses neuartige Projekt könne ein Baustein zur Verbesserung der Situation auf dem Wohnungsmarkt sein.

„Unsere Überlegung war, dass Ältere oft viel Wohnraum zur Verfügung steht, sie aber den Umzug, Verkauf oder Vermietung scheuen“, so Joachim Rückle. Hinzu komme, dass immer mehr ältere Menschen zuhause wohnen und Unterstützungsbedarf hätten. Im Haushalt, beim Einkaufen, im Garten, bei der Kehrwoche, beim Schneeräumen. Oder weil sie einsam sind. Gleichzeitig würden viele junge Geflüchtete, Migranten, ausländische Studierende Wohnraum suchen. „Unsere Idee war, diese zwei Personengruppen zusammenzubringen.“ In zahlreichen Universitätsstädten gebe es bereits ähnliche Projekte, die dann etwa „Wohnen für Hilfe“ heißen. Der Ansatz in Reutlingen ist ähnlich, auch hier sollen „Wohnpartnerschaften“ zwischen Alt und Jung entstehen.

Aber: Der Unterschied ist der, dass dieser Prozess begleitet wird – und zwar von Anfang an. Christine Kuhnle betreut dabei die „Wohnraumgebenden“ wie auch die „Wohnraumsuchenden“. Peter Donecker ist „der Mann im Hintergrund“, er ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit, für Netzwerke und mehr. Beide kennen sich in der Arbeit mit Geflüchteten, Migranten und auch mit Ehrenamtlichen bestens aus – Letztere sind nämlich ein weiterer Faktor in dem Projekt. „Ehrenamtliche sind oft dichter dran am Geschehen“, sagt Donecker. Als „Wohnpaten“ sollen sie sich einbringen, bei Fragen, Schwierigkeiten, Kommunikationsproblemen als Ansprechpartner für beide Seiten verfügbar sein. „Aber wir sind natürlich auch da“, sagen Kuhnle und Donecker.

Offiziell gestartet ist „shelter & help“ am 1. März, erste Anfragen von Angehörigen, die jemand für Mutter oder Vater suchen, liegen bereits vor. Vor allem über Kirchengemeinden und Seniorenkreise soll das Projekt in den gerade sehr schwierigen Zeiten bekannt gemacht werden. Wenn sich Interessierte melden, soll es dann folgendermaßen funktionieren: „Zusammen mit Familienangehörigen werde ich zum Erstbesuch der Wohnungsgebenden gehen und das Projekt vorstellen.“ Bedenkzeit sei wichtig, wenn das Ergebnis positiv sei, komme Christine Kuhnle mit einem Fragebogen wieder.

Dann werden die grundsätzlichen Daten abgefragt: Wie viel Wohnraum soll zur Verfügung gestellt werden, gibt es eine eigene Küche, eigenes Bad oder Mitbenutzung? Wird eine männliche oder weibliche Person gesucht? Welche Hilfe wird benötigt? „Klar ist, dass es nicht um die Pflege der älteren Person gehen darf, niemand soll ausgenützt werden“, sagt Kuhnle. „Dann werden wir sehen, welche Person passen könnte, es gibt einen gemeinsamen Besuch, bei der gegenseitige Sympathie erkundet wird.“ Die Verständigung sei wichtig, Sprache. Es sei klar, dass nicht gleich beim ersten Treffen das Zusammenziehen beschlossen werden könne. „Beschnuppern“ sei wichtig. „Es ist ein innovatives Projekt, das ständig angepasst wird“, betont Rückle.

„Es geht bei diesem Projekt um Vertrauen“, sagt Heinz Gerstlauer, der als Vorsitzender der Lechler-Stiftung „shelter & help“ unterstützt. „Vertrauen ist eh das Schmiermittel der Gesellschaft“, so Gerstlauer. Gut sei, dass das Projekt auf drei Jahre angelegt sei und mit dem Diakonieverband einen Betreiber habe, der für Vertrauen und Erfolg stehe. Womöglich könnte, so Gerstlauer, „dieses Projekt eine Steilvorlage für andere Städte ähnlicher Größe sein“. So weit sei laut Rückle momentan noch nicht gedacht, aber „Pfullingen und Eningen haben wir schon im Visier“. Insgesamt soll es bei dem Projekt darum gehen, „miteinander unter einem Dach zu leben und dabei Einblicke in andere Kulturen zu erhalten“. Die Miet- oder Untermietverträge sollen ganz individuell den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden. Vielleicht auch entsprechend der Vorgabe von „Wohnen für Hilfe“ in Uni-Städten: Pro Quadratmeter Wohnraum eine Stunde Mithilfe im Monat könnte ein Maßstab sein, so Kuhnle. Müsse aber nicht. Alles könne ausgehandelt werden.

 

INFO:

Finanzierung von „shelter & help“

Bei der Suche nach Unterstützungsmöglichkeiten traf Dr. Joachim Rückle beim Bundesamt für Migration und Flucht auf Zuspruch: 210 000 Euro gibt das BaMF, hinzu kommen 20 000 Euro von der Lechler-Stiftung. „Das Projekt wurde von uns als Modell eingestuft, bei dem uns mehrere Aspekte wichtig sind“, betonte Heinz Gerstlauer als Vorsitzender der Stiftung. Der integrative und auch interkulturelle Ansatz habe überzeugt, aber auch, dass der Wohnraummangel angegangen werden soll und – dass Familien Entlastung erfahren können. „Uns ist zudem die zivilgesellschaftliche Komponente wichtig, dass Ehrenamtliche mit eingebunden werden“, so Gerstlauer.