Reutlinger Vesperkirche beginnt am kommenden Sonntag, 17. Januar, mit einem Festgottesdienst in der Marienkirche. Anstatt Begegnung und Aufwärmmöglichkeit in der Nikolaikirche gibt es dieses Jahr Essenstüten.
„Am Sonntag gibt es Rinderbraten mit Gemüse und Nachtisch“, sagte Dorothea Fecker-Kuon am Donnerstag dieser Woche – also drei Tage vor dem Start der 24. Vesperkirche in der Reutlinger Innenstadt. So wie die vorhergehenden 23 Vesperkirche jede für sich etwas Besonderes und Einmaliges war, so wird das zeitlich begrenzte „besondere Gasthaus“ dieses Jahr noch außergewöhnlicher sein: Aufgrund der Corona-Pandemie wird zum großen Bedauern des Leitungskreises die Begegnung, die Geselligkeit, die Möglichkeit, sich in dem Kirchensaal aufzuwärmen, in diesem Jahr nicht möglich sein. „Deshalb gibt es das Essen auch nicht warm, sondern eingeschweißt zum Aufwärmen“, so Fecker-Kuon.
Die Mahlzeiten werden in einer Tüte zusammen mit einem Nachtisch, einem Getränk, etwas Süßem und einem Vesper zwischen dem 17. Januar und 14. Februar jeden Tag vor der Nikolaikirche an die Menschen verteilt. „Weil der Mensch vom Brot allein nicht lebt“, wie Hildegard Renovanz-Grützmacher ausführte, gebe es täglich „auch etwas für die Seele. Eine Karte mit einem Text aus einem Mutmachbuch soll im Zusammenspiel mit dem Essen genau das bewirken – dass die Menschen merken, sie sind nicht verlassen. „Wir sind froh, dass wir nun erneut ungefähr so viele Spenden wie in den vergangenen Jahren erhalten haben“, betonte Dr. Joachim Rückle als Geschäftsführer des Reutlinger Diakonieverbands.
Wie hoch die Kosten der diesjährigen Vesperkirche sein werden, sei noch nicht klar. So mancher Aufwand entfällt 2021 vor allem für die Bruderhaus-Diakonie, die erneut die Essen anliefert. Wärmetheken in der Kirche, tägliches Geschirrspülen – all das ist dieses Mal nicht notwendig. Und die Mahlzeiten werden von ehrenamtlichen Mitarbeitern der Vesperkirche abgeholt. Wie viele Mahlzeiten täglich in den vier Wochen ausgegeben werden, könne noch nicht abgeschätzt werden. „Das ist mit Sicherheit auch wetterabhängig“, so Rückle. Gestartet werde mit 200 Mahlzeiten – sollten welche übrig bleiben, könnten die gekühlt werden und am nächsten Tag verteilt werden. Dafür wurden extra fünf große Kühlschränke in den Kirchenraum gestellt.
Für die Gäste wird die Nikolaikirche am Rande der Reutlinger Wilhelmstraße 2021 jedoch geschlossen bleiben. „Es gibt auch keine Möglichkeit, die Toilette zu benutzen“, betont Jutta Kuhk. Die Gefahr der gegenseitigen Infektion sei einfach zu groß. Dabei hat der Leitungskreis ein umfangreiches Hygienekonzept entwickelt, immer weiter ausgebaut und verfeinert. „Wir haben die Möglichkeit, bei den ehrenamtlichen Helfern jeden Morgen Fieber zu messen“, sagt Joachim Rückle. Im Kirchenraum, in dem die Vesperbrote gestrichen und die Tüten vorbereitet werden, steht ein Belüftungsgerät. Die gewohnten vier Kulturveranstaltungen müssen nach den Worten von Birgit von Vacano dieses Jahr wegen Corona jedoch ausfallen. „Das schmerzt besonders, weil wir im vergangenen Jahr mit einem Themenabend zur Armut begonnen hatten und dieses Jahr weiterführen wollten“, so Rückle. Laut Kuhk ruft der Leitungskreis der Vesperkirche die Gäste bewusst dazu auf, an die Nachbarn zu denken – und ältere oder bedürftige Menschen dazu aufrufen, sich an der Nikolaikirche eine Essenstüte abzuholen. Oder auch für Nachbarn, die selbst nicht aus der Wohnung können, eine Tüte mitzunehmen. „Sammelbestellungen wird es aber nicht geben“, sagt Jutta Kuhk.
Während in den zurückliegenden Jahrzehnten jedes Jahr rund 20 Ehrenamtliche jeden Tag in der Vesperkirche geholfen haben, wird nach den Worten von Gisela Braun in diesem Jahr eine reduzierte Anzahl von zehn bis vierzehn Freiwilligen täglich anwesend sein. Die Sicherheit aller müsse an erster Stelle stehen. Erstaunlich sei laut Braun, dass gerade ältere Helfer auch wieder dabei sein wollen – obwohl sie zur Risikogruppe zählen. „Wir haben jetzt etwa 100 Freiwillige und werden mit dieser Zahl wohl auch hinkommen“, sagt Braun. Laut Vesperkirchenpfarrer Jörg Mutschler beginnt der Eröffnungsgottesdienst am kommenden Sonntag um 10 Uhr in der Marienkirche, Prälat Dr. Christian Rose wird die Predigt halten. Bis zu 130 Personen werden dort einen Platz finden.