Kunstprojekt für Kinder in der Unterkunft in der Erwin-Seiz-Straße unter dem Titel „(M)ein Platz auf der Welt“
Für die Kinder der Geflüchteten in der Erwin-Seiz-Straße können die Tage in den Ferien schon sehr lang werden. Kein Wunder also, dass Inge Armbruster und die Tübinger Künstlerin Marion Springer die vergangenen Tage sehnsüchtig erwartet wurden? „Eines der Mädchen hatte zwar am Ferienprogramm ‚Burzelbach‘ teilgenommen, aber der ehrenamtliche Aufwand, das Kind jeden Tag dort hinzubringen und wieder abzuholen, war groß“, sagt Armbruster als eine der Ehrenamtlichen, die das Kunstprojekt von Springer begleiten. Ansonsten sei der Zugang zu den Ferienprogrammen der Stadt schwierig – Voraussetzung sei halt fast immer die Sprache.
Am vergangenen Samstag waren sechs Kinder pünktlich um 10 Uhr im Hof der Flüchtlingsunterkunft in Reutlingens Süden anwesend. Das war schon der dritte Tag dieses Projekts, mithilfe von Paletten hatten sich die insgesamt zehn Kinder und Jugendliche ihren ganz persönlichen Platz, ihren Treffpunkt in einem Eck auf dem Hof gesucht und gestaltet. Geschraubt, gehämmert, abgeschliffen wurde da, handwerklich waren die Kids sehr gefordert. Aber auch künstlerisch. „Es geht darum, dass die Kinder Gestaltungskompetenz selbst erleben“, berichtet die Künstlerin. Auf der manchmal jahrelangen Flucht seien die Kleinen genauso wie ihre Eltern die Getriebenen gewesen, „hier sollen die Kinder gestalten können und erkennen, dass sie selbst kreativ sein können“. Am Samstag bemalten sie Holzlatten und machten sie dadurch zu ihren persönlichen „Wächterfiguren“ – die auf ihren Treffpunkt auch dann aufpassen, wenn sie selbst nicht vor Ort sind. Bunt wurden die Figuren, bunt, lächelnd, manche staunend. Hochkonzentriert malten die Kinder und zeigten anschließend stolz ihre Werke.
Die Idee hinter dem Projekt „(M)ein Platz auf der Welt“ war vom Bundesbildungsministerium für „bildungsbenachteiligte Kinder“ aufgeworfen worden: „Es sollte ein Bildungsbündnis mit anderen lokalen Partner eingegangen werden“, erläutert Springer. Beworben hatte sich aus Reutlingen das „Forum für Lebensenergie“ in der Ulrichstraße 17, also fast in der Nachbarschaft der Flüchtlingsunterkunft. Einige der Mitglieder engagieren sich so wie Inge Armbruster auch in der Flüchtlingsbetreuung. Partner des Forums wurden der Reutlinger Diakonieverband und das Kunstmuseum. Im Rahmen der insgesamt sechs Projekttage sind die Kinder auch noch in das Museum eingeladen, dürfen dort ebenfalls selbst kreativ und aktiv werden, selbst Drucke erstellen und weiteres mehr.
Die Atmosphäre in der Flüchtlingsunterkunft in der Erwin-Seiz-Straße sei gut, sagt Inge Armbruster. Viele Familien mit vielen Kindern leben dort, aber auch alleinstehende junge Männer oder Frauen. Dass der Besitzer selbst in dem ehemaligen Fabrikgebäude wohnt, ist außergewöhnlich. „Das funktioniert aber gut“, sagt die ehrenamtlich Engagierte. Im April 2017 wurde das Gebäude von Geflüchteten bezogen. Heute leben dort 70 Menschen. „Viele haben Arbeit“, berichtet Armbruster. „Es ist ein gutes Miteinander.“ Und für Marion Springer ist das als professionelle Künstlerin ein außergewöhnliches Projekt? Gar nicht mal so sehr, sagt sie. Sie verstehe Kunst als Aufforderung, sich in die Gesellschaft einzubringen. „So wie Joseph Beuys es sagte, ist Gesellschaft ein zu gestaltendes Medium und soziales Engagement als der Teil der Kunst zu sehen“, sagt Springer. „Die Kinder erfahren hier, was schöpferische Kraft ist und dass jeder Mensch sie besitzt.“
INFO-Box:
Abschlussfest am Samstag
Am kommenden Samstag, 31. August, wird ab 14 Uhr ein großes Projekt-Abschlussfest gefeiert. Im Hof der Flüchtlingsunterkunft werden die Kinder ihren Treffpunkt, ihren „Platz auf der Welt“ präsentieren. Alle Bewohner der Unterkunft sind ebenso eingeladen zu Musik, Getränken und Essen wie Nachbarn, Flüchtlingsunterstützer, Freunde und Interessierte.