Helfen und Lebensmittel retten

Münsinger Tafel ist seit April 2020 auf dem Rathausplatz und verkauft dort extrem günstig Lebensmittel an Menschen mit kleinen Geldbeuteln

Ulrike Osiw hat beim Kassieren alles im Griff. Und dazu auch noch alles im Blick: „Hallo“, ruft sie über den halben Rathausplatz. „Hallo, Ihre Tüte ist kaputt, die Mandarinen landen alle auf dem Boden“, ruft die ehrenamtliche Tafelmarktleiterin einer Frau am Obststand zu. Seit fast zehn Jahren bringt sich Osiw freiwillig in die Münsinger Tafel ein – zuvor war sie zusammen mit ihrem Mann viel im kirchlichen Bereich aktiv. „Ich habe dann mal was anderes gesucht.“ Gefunden hat sie die Tätigkeit in der Tafel über einen Zeitungsartikel. „Seitdem bin ich fröhlich dabei“, sagt sie und grinst. Die Arbeit sei das Richtige für sie – „ich tue hier was Soziales und helfe durch den Verkauf von Lebensmitteln, die sonst weggeworfen würden, die Schöpfung zu bewahren“, sagt Ulrike Osiw. Die Waren wurden zuvor bei Supermärkten, Discountern, Bäckereien und mehr abgeholt.

Dienstags und freitags ist jeweils Tafelmarkttag. Ab 13 Uhr geht das Meiste in rund 1,5 Stunden über die Theken in den Weihnachtsmarkthütten. Was übrigbleibt, „holen fast alles die Foodsharer ab – das ist eine tolle Zusammenarbeit“, betont Ina Kinkelin-Naegelsbach am vergangenen Dienstag. Als Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle in Münsingen ist sie auch für die Tafel zuständig. Und sie lobt die Atmosphäre auf dem Rathausplatz: „Das ist hier mitten in der Stadt, nicht so am Rand, wie der eigentliche Tafelladen.“ Sowohl die Ehrenamtlichen, die sich in die Arbeit einbringen, wie auch die Kunden mögen den Platz und auch die Hütten, sagt Kinkelin-Naegelsbach.

Aber: „Das ist ein Provisorium.“ Und zwar eines, das schon seit April 2020, seit dem ersten Lockdown besteht. „Die Stadtverwaltung hat uns mit Rebecca Hummel und Mike Münzing damals sehr geholfen.“ Und auch heute springe immer mal wieder der Hausmeister des Rathauses ein, wenn was nicht stimmt. Wäre es nicht möglich, aus dem Provisorium eine Dauerlösung zu machen? „Naja“, sagt die Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle. „Wenn mal wieder der Weihnachtsmarkt möglich sein sollte und auch das Stadtfest, dann ist hier wohl kein Platz mehr für den Tafelmarkt.“

Zapfig kalt war es am vergangenen Dienstag auf dem Rathausplatz. „Das ist nicht weiter schlimm, wir haben ja Heizlüfter hier in den Hütten“, betont Ulrike Osiw. „Die Leute, die auf dem Markt ihr Zeug verkaufen, müssen das ja auch aushalten.“ Mit dem Unterschied, dass die sechs ehrenamtlichen Frauen sich für die Tafel ehrenamtlich einbringen. Kleine Schlangen mit fünf, maximal sechs Personen stehen am Dienstag vor den Hütten. Rund 40 Kunden sind es pro Verkaufstag. Es gibt ein Farbsystem, Kunden mit einer bestimmten Farbe sind um 13 Uhr als Erste dran. „Das wechselt aber immer durch, so dass alle mal die Ersten sind“, erläutert Osiw. Doch es sei fast immer genug für alle da, so dass Drängeln gar nicht vonnöten sei. Und auch die Letzten noch ausreichend Waren erhalten.

Ein paar ältere Frauen sind an diesem Dienstag vor den Hütten zu sehen, aber auch Familien mit kleineren Kindern, dazu junge Männer, Geflüchtete. Alle haben eines gemein – sie besitzen eine Kundenkarte, die beweist, dass sie mit wenig Geld auskommen müssen. Die Stimmung ist gelassen. „Hallo Irina“, sagt ein älterer Mann. „Ich wünsche dir noch ein gutes neues Jahr.“ Irina Kempf freut sich, erwidert die Wünsche. Seit 18 Jahren ist sie schon ehrenamtlich bei der Tafel dabei. 74 Jahre ist sie und sie spricht viele Sprachen. Russisch, Georgisch, Kasachisch Ukrainisch, ein wenig Arabisch „und Deutsch natürlich auch“, sagt Kempf und lächelt. „Heute sieht es gut aus mit den Lebensmitteln“, berichtet sie. Abgepackte Wurst, Fertiggerichte, viele Milchprodukte, ganz viel Obst und Gemüse, sogar Konserven liegen aus – „die gibt es aber nur, wenn Erntedankfest war“, sagt Ulrike Osiw.

Brot ist auch jede Menge da. „Es gibt andere Tage, da ist das Angebot gering, aber heute ist sehr viel da“, sagt eine Frau, die sich auch schon seit zehn Jahren einbringt, aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Ich arbeite gerne hier“, versichert sie. Und die Kunden schätzen das Angebot der Tafel. Die meisten haben eine Kiste dabei oder eine große Tüte, die sie mit Lebensmitteln gefüllt haben. Vor der Hütte von Ulrike Osiw legen sie alle Produkte wieder auf die Theke. „Elf Euro 20“, sagt die Marktleiterin, nachdem sie alle Waren einer älteren Frau durchgesehen hat. Rund 20 Prozent des normalen Verkaufspreises kosten die Waren bei der Tafel. Für die Kundschaft ist das eine gute Möglichkeit, um Geld zu sparen – wenn man eh schon mit ganz wenig auskommen muss.