25. Vesperkirche kommt 2022 wieder in die Tüte

Zum zweiten Mal muss das „besondere Gasthaus“ auf gemeinsames Essen in der Nikolaikirche verzichten. Start der Vesperkirchen-Tütenausgabe ist am 16. Januar kommenden Jahres mit Festgottesdienst

Im September hatten die ersten Besprechungen für die Vesperkirche im kommenden Jahr begonnen. „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagte Dr. Joachim Rückle am Dienstag, 9. November, während eines Pressegesprächs. Lange sei im Leitungskreis hin und her überlegt worden, „ausschlaggebend war schlussendlich, dass maximal 50 Personen auf einmal in der Nikolaikirche Platz beim gemeinsamen Mittagessen gefunden hätten“, so der Geschäftsführer des Reutlinger Diakonieverbands. Etwa 150 Essen pro Tag hätten so ausgegeben werden können, „das wäre viel zu wenig“. Weil die Nachfrage in den vergangenen Jahren immer viel größer gewesen sei. Gleichzeitig Essen in der Kirche und davor die Versorgungstüten auszugeben – „das wäre logistisch nicht machbar“, sagte Rückle.

Also wird es ab dem 16. Januar bis zum 13. Februar 2022 die 25. Vesperkirche wieder „nur“ in Tütenform geben. Vesperkirchenpfarrer Jörg Mutschler sei bei dieser Ankündigung nicht immer auf Verständnis gestoßen. „Aber wir haben die Pflicht, unsere Gäste wie auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen, das steht an vorderster Stelle.“ Um das zentrale Element der Vesperkirche – das Zusammenkommen, gemeinsame Gespräche, Kontakte – nicht ganz unter den Tisch fallen zu lassen, soll es 2022 vor der Nikolaikirche eine Holzhütte wie auf dem Weihnachtsmarkt geben, aus der heraus Kaffee und Kuchen verteilt werden. „Ein paar Stehtische sollen wohl hinzukommen, damit sich die Gäste wenigstens ein bisschen bei einem Kaffee unterhalten können“, sagte Rückle.

Der Start am Sonntag, 16. Januar, findet erneut in der Reutlinger Marienkirche statt. Landesbischof Otfried July wird die Predigt halten, danach sollen die ersten Tüten vor der Nikolaikirche verteilt werden. Vier Wochen später, am 13. Februar hält der katholische Dekan Hermann Friedl die Predigt beim Abschlussgottesdienst. Damit aber nicht genug: Schon vor der ersten Essensausgabe kommt nun, am Donnerstag, 11. November, und am Dienstag, 14. Dezember, jeweils zwischen 10 und 14 UhrDr. Monika Lenz mit einem Impfmobil vor die Nikolaikirche. Vielleicht hilft nach den Worten von Jörg Mutschler ja der gute Ruf der Vesperkirche, um den einen oder die andere noch zur Impfung zu überreden. „Unter den Obdachlosen gibt es noch viele Nicht-Geimpfte“, so der Pfarrer. „Und auch die dritte Impfung ist dort möglich.“ Mitzubringen sind an diesen beiden Tagen Personalausweis, Krankenkassenkarte, Impfbuch (sofern vorhanden). „Wer sich schwertut beim Ausfüllen der notwendigen Formulare, dem wird hier vor Ort geholfen“, betonte Andrea Gaiser, die vor längerer Zeit schon bei der Vesperkirche aktiv war, nun „von Jörg Mutschler reaktiviert wurde“, wie sie schmunzelnd berichtete. Sie hatte auch die Idee zu dieser besonderen Impfaktion. "Übrigens erhält jeder, der sich impfen lässt, einen Gutschein für das S-Haus", sagte Mutschler.

Jeden Tag zwischen 11 und 13 Uhr 30 werden die Essenstüten in den vier Wochen im Januar und Februar verteilt. In der "Vesperkirche to go" enthalten sein wird eine vollwertige, gekühlte Mahlzeit, die nur noch aufgewärmt werden muss. Nach der unerwartet großen Nachfrage im vergangenen Jahr mit mehr als 400 Essen pro Tag, geht der Leitungskreis auch bei der 25. Vesperkirche wieder davon aus, dass der Run auf die Nikolaikirche anhalten wird. Gekocht wird erneut von der Bruderhaus-Diakonie, mit in der Tüte werden auch Vesperbrote sein, Nachtisch, etwas Süßes und ein Getränk. Wie im Vorjahr erhält zudem jede Abholerin und jeder Abholer auch wieder ein paar gute Worte mit auf den Weg – in Form einer gedruckten Karte mit einem Text aus dem Mutmachbuch: Nahrung für die Seele.

Veranstaltungen sind für die Zeit der 25. Vesperkirche nicht geplant, bis auf eine: Am 3. Februar, 19 Uhr, lautet der Titel des „sozialpolitischen Abends – Armut in Zeiten von Corona“. Veranstaltungsort wird die Reutlinger VHS sein. „Neben OB Thomas Keck wird auch Heiner Kondschak wieder mit von der Partie sein“, sagte Jörg Mutschler. Neu im Team der Vesperkirche 2022 wird Kathrin Haaga sein: Als Sozialberaterin wird sie immer wieder vor der Nikolaikirche präsent sein, „aber auch danach“, so Rückle. „Es ist einfacher für die Menschen, wenn sie schon mal jemanden gesehen, Kontakt aufgenommen haben, dann fällt während des restlichen Jahres der Gang in die Planie 17 leichter.“

Ehrenamtliche sind auch kommendes Jahr wieder vonnöten – zur Vorbereitung der Tüten, zum Kochen und Ausschenken des Kaffees und zu anderem mehr. „Auch der Leitungskreis kann Verstärkung gebrauchen“, betont Mutschler. Eine, die seit dem ersten Tag der Reutlinger Vesperkirche dabei war, ist Gertrud Schief. „Die kommende wird meine letzte Vesperkirche sein“, sagte sie bei dem Pressegespräch. Mit 80 Jahren sei es auch mal gut, vor allem in Anbetracht von zurückliegenden 25 Jahren Engagement – und sie will Platz machen für Jüngere.

„Was wir auch im kommenden Jahr wieder brauchen, sind Spenden – angesichts von zu erwartenden rund 9000 Mahlzeiten werden wir auf Gesamtkosten von etwa 110 000 Euro kommen“, sagte Pfarrer Joachim Rückle. „Auf Kuchenspenden sind wir auch wieder angewiesen, aber keine Torten, bitte, sondern nur Rührkuchen, die man gut verpacken kann“, ergänzte Gertrud Schief. Sie gehe im Übrigen mit einem weinenden und einem lachenden Auge in ihre letzte aktive Vesperkirche. „Ich habe die Arbeit immer gern gemacht“, sagte sie mit ein wenig Wehmut in der Stimme. „Aber ich werde als Gast wiederkommen.“

 

Spenden:

Das Spendenkonto ist bei der KSK Reutlingen mit der IBAN-Nr.: DE18 6405 0000 0100 0230 73, Betreff: Vesperkirche. Weitere Informationen gibt es auf www.reutlinger-vesperkirche.de und unter der Tel.Nr.: 07121-94860 oder mobil: 0176-42796221 (Gisela Braun).